Die Grenze

                                                        
 
Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten war eine Grenze zwischen den beiden militärischen Machtblöcken der Staaten des Warschauer Paktes auf der einen und der NATO-Staaten auf der anderen Seite.

Bereits 1952 wurden in Abstimmung zwischen den Machthabern in der DDR und der UdSSR die Grenzanlagen zwischen den beiden deutschen Staaten ausgebaut, um der anwachsenden Fluchtbewegung und Umsiedlung von Ost nach West entgegenzutreten. Das Grenzgebiet bekam den Charakter eines Sperrgebiets. Der Kontrollstreifen durfte bei Strafandrohung nur an speziellen Kontrollpunkten mit einem Interzonenpaß passiert werden. Als Folge einer Verschärfung des Ost-West-Konfliktes Ende der fünfziger Jahre, einer die DDR stark belastenden Fluchtbewegung von DDR-Bürgern in den wirtschaftlich erfolgreicheren Westen und eines militärstrategischen Interesses der UdSSR daran, die Lage in der DDR zu stabilisieren, sie als dem eigenen Staat vorgelagerten Puffer zur Grenze zwischen den Machtblöcken zu erhalten und die massive Tätigkeit westlicher Geheimdienste, die vom Westteil Berlins gegen die DDR und den Ostblock insgesamt ausging, einzuschränken, kamen die politisch Verantwortlichen in der DDR und der UdSSR im Sommer 1961 in beiderseitigem Interesse und in Absprache mit den anderen Staaten des Warschauer Vertrages überein, die Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland so zu sichern, daß sie nur noch über Kontrollpunkte passierbar sein würde. Am 13. August 1961 wurde die Berliner Sektorengrenze mit Stacheldraht und Barrikaden, später durch eine Mauer abgeriegelt. An der Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland wurden die bereits vorhandenen Sicherungsanlagen verstärkt. In dem Grenzgebiet wurden - mit Ausnahme der Berliner Grenzen Minen verlegt und Selbstschußanlagen eingerichtet. Zahlreiche Fluchtversuche über diese Grenze endeten für die Flüchtlinge tödlich, weil sie auf Minen traten, in Selbstschußanlagen gerieten oder weil sie von Angehörigen der Grenztruppen zur Fluchtverhinderung erschossen wurden.

 

In den siebziger Jahren begann sich die weltpolitische Lage zu entspannen; es kam zu bilateralen und multilateralen Verträgen der DDR. Die DDR trat dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte bei, der 1976 in Kraft trat. Eine weitere Entspannung erfolgte ab 1985 nach dem Machtantritt von Michail Gorbatschow, der den Parteien der Ostblockstaaten das Recht einräumte, über die Probleme ihres Landes weitgehend selbst zu entscheiden. Ab Mitte der achtziger Jahre ließ die DDR ohne vorherige Abstimmung mit der UdSSR Erdminen und Selbstschußanlagen (bis zum 31. Juli 1985) abbauen.

  

An den Grenzen der DDR zur Bundesrepublik Deutschland befand sich im Hinterland der DDR eine rund fünf Kilometer tiefe Sperrzone, deren Betreten nur mit besonderer Genehmigung gestattet war.

Alle Bewegungen von Personen in der Sperrzone wurden von der Volkspolizei und den aus der Grenzbevölkerung rekrutierten "Freiwilligen Helfern der Grenztruppen" intensiv überwacht, so daß es Fluchtwilligen kaum gelingen konnte, sich der Grenze zu nähern. In einer Entfernung von 500 Metern vor der eigentlichen Grenze begann mit dem bei Berührung optisch und akustisch Signal gebenden Grenzsignalzaun der Schutzstreifen mit den "pioniertechnischen Anlagen". In dem von Pflanzenbewuchs weitgehend befreiten Schutzstreifen befanden sich die Beobachtungstürme der Grenztruppen. Parallel zur Grenzlinie verlief der befahrbare Kolonnenweg, neben diesem ein geharkter, unterschiedlich breiter Kontrollstreifen. Hierauf folgte der Kraftfahrzeugsperrgraben. Abhängig von den örtlichen Gegebenheiten befanden sich im Schutzstreifen noch Panzersperren und Hundelaufanlagen mit frei laufenden Wachhunden. Die pioniertechnischen Anlagen endeten mit dem Grenzzaun, der so hoch war, daß er ohne Hilfsmittel kaum überwunden werden konnte.

 

Die Grenze zum Westteil Berlins war anders ausgestaltet. Die Grenzsperranlagen begannen auf Seiten der DDR mit der Hinterlandmauer bzw. einem "Sperr- und Warnzaun". Diese erste Sperre sollte verhindern, daß der Flüchtende in die Sperrzone eindrang. Hierauf folgten Grenzsignalzaun, Schutzstreifen mit Beobachtungstürmen und Kolonnenweg, der bei Dunkelheit heil ausgeleuchtet war, Kontrollstreifen und Kraftfahrzeugsperrgraben. Letztes Sperrelement war im innerstädtischen Bereich eine rund 3,40 Meter hohe Grenzmauer. Im nicht bebauten Gebiet des Außenringes um Berlin im DDR-Bezirk Potsdam bestand das vordere Sperrelement aus einem drei Meter hohen Streckmetallzaun. In diesen Außenbereichen kamen frei laufende Wachhunde zum Einsatz. Das Grenzgebiet um den Westteil Berlins hatte überwiegend eine Tiefe bis zu 50 m: nur an einigen Stellen war es bis zu 200 m tief.
 
Die technische Einrichtung der Grenzanlagen war so ausgelegt, daß sie in erster Linie eine Flucht aus der DDR verhindern sollten. Kraftfahrzeugsperrgräben, (bis Sommer 1985) Minen und Selbstschußanlagen boten gegen einen Durchbruch aus Richtung der Bundesrepublik Deutschland mit gepanzerten Fahrzeugen keinen Schutz, eine militärische Bedeutung hatten die Anlagen nicht.
 
Seit den siebziger Jahren wurden die Grenzen der DDR von den"Grenztruppen der DDR" bewacht.

Die Grenztruppen hatten u. a. die Aufgabe, die "Unantastbarkeit der Staatsgrenze der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und Westberlin" zu wahren (Führungsgrundsätze der Grenztruppen der DDR im Frieden und im Krieg vom 14. August 1974). Der Befehlsweg der Grenztruppen verlief so, daß der Minister für Nationale Verteidigung in der Regel jährlich an den Chef der Grenztruppen den Befehl 101 gab; der Chef der Grenztruppen setzte diesen Befehl um durch den Befehl mit der Nr. 80 an die Chefs der drei Grenzkommandos: diese erließen auf dieser Grundlage Befehle mit der Nr. 40 an die Kommandeure der einzelnen Grenzregimenter, die diese durch Befehle mit der Nr. 20 umsetzten. In Umsetzung dieser Befehle wurden die Grenzsoldaten vor jedem Wacheinsatz vergattert, d. h. sie wurden verpflichtet, die Unverletzlichkeit der Grenzen zu gewährleisten und ihren Dienst wachsam und auf der Grundlage der Rechtsvorschriften und Bestimmungen zu erfüllen. Bis in die siebziger Jahre wurde angeordnet,

"Grenzverletzer festzunehmen oder zu vernichten", später hieß es an Stelle von "Vernichten" "Fluchtverhinderung". Sämtliche Handlungen der Grenztruppen, also auch die Verminung des Grenzgebiets und die Anwendung der Schußwaffen gegen Flüchtlinge, beruhten auf dieser Befehlskette.

 

Es bestand eine Divergenz zwischen offizieller und tatsächlicher Befehlslage. Die offizielle Befehlslage ging in den achtziger Jahren bis April 1989 dahin, daß "Grenzdurchbrüche" - so wurde das Überwinden der Grenze durch Flüchtlinge aus der DDR bezeichnet, diese wurden "Grenzverletzer" genannt - in jedem Fall und unter Einsatz jeden Mittels zu verhindern waren. Die Schußwaffe sollte nur als letztes Mittel eingesetzt werden, das Leben des "Grenzverletzers" sollte nach Möglichkeit geschont werden. Im Falle eines Fluchtversuchs sollte eine abgestufte Reaktionsfolge eingehalten werden: Der Flüchtling war zunächst anzurufen und zum Stehenbleiben aufzufordern; blieb dies erfolglos, sollten Warnschüsse abgegeben werden, um den Flüchtling zum Aufgeben seines Vorhabens zu veranlassen; setzte er seine Handlung fort, sollte die Schußwaffe als letztes Mittel gezielt eingesetzt werden, um Fluchtunfähigkeit zu erreichen.

 

Diese offizielle Befehlslage wurde überlagert: Durch die ständige und massive Einwirkung auf die Soldaten entstand bei diesen die von der politischen Führung und den militärischen Vorgesetzten erwünschte Vorstellung, daß bei Abwägung zwischen dem Leben des "Grenzverletzers" und der Unverletzlichkeit der Grenze letztere höher einzuschätzen und deshalb der Verlust eines Menschenlebens notfalls hinzunehmen sei. Die Soldaten wußten, daß in vielen Fällen das Ziel, einen "Grenzdurchbruch" zu verhindern, nicht anders als durch Schußwaffeneinsatz mit gegebenenfalls tödlichem Ausgang zu erreichen war. Den Soldaten war bekannt, daß auf größere Entfernungen mit ihrer Dienstwaffe, der Maschinenpistole "Kalaschnikow", auch bei Einzelfeuer nicht so genau auf die Beine gezielt werden konnte, daß ein tödlicher Treffer ausgeschlossen werden konnte.

  

Nach Inkrafttreten des Grenzgesetzes der DDR vom 25. März 1982 (GBl. I 197) am 1. Mai 1982 fand in der Ausbildung der Grenzsoldaten keine einschneidende Veränderung statt. In den mit der Grenzsicherung betrauten Organen herrschte ebenso wie bei den Mitgliedern des Politbüros die Auffassung, daß § 27 Grenzgesetz die bisherige Praxis des Schußwaffeneinsatzes gesetzlich festschreibe und rechtfertige. § 27 Grenzgesetz hatte folgenden Wortlaut:

 

"Anwendung von Schußwaffen“

 

Die Anwendung der Schußwaffe ist die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegenüber Personen. Die Schußwaffe darf nur in solchen Fällen angewendet werden, wenn die körperliche Einwirkung ohne oder mit Hilfsmitteln erfolglos blieb oder offensichtlich keinen Erfolg verspricht.

 

Die Anwendung von Schußwaffen gegen Personen ist erst dann zulässig, wenn durch Waffenwirkung gegen Sachen oder Tiere der Zweck nicht erreicht wird.

 

Die Anwendung der Schußwaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt. Sie ist auch gerechtfertigt zur Ergreifung von Personen, die eines Verbrechens dringend verdächtig sind.

Die Anwendung der Schußwaffe ist grundsätzlich durch Zuruf oder Abgabe eines Warnschusses anzukündigen, sofern nicht eine unmittelbar bevorstehende Gefahr nur durch die gezielte Anwendung der Schußwaffe verhindert oder beseitigt werden kann.

 

Die Schußwaffe ist nicht anzuwenden, wenn

 das Leben oder die Gesundheit Unbeteiligter gefährdet werden können,

 die Personen dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter sind oder

 das Hoheitsgebiet eines benachbarten Staates beschossen würde.

 Gegen Jugendliche und weibliche Personen sind nach Möglichkeit Schußwaffen nicht anzuwenden.

 

Bei der Anwendung der Schußwaffe ist das Leben von Personen nach Möglichkeit zu schonen. Verletzten ist unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen Erste Hilfe zu erweisen. "

Verbrechen, die nach § 27 Abs. 2 Satz 1 Grenzgesetz den Einsatz der Schußwaffe rechtfertigten, waren gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 StGB-DDR u. a. Straftaten, für die im Einzelfall eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren ausgesprochen wurde.

Bei dem Straftatbestand des ungesetzlichen Grenzübertritts nach § 213 StGB-DDR, der im Zusammenspiel mit dem Grenzgesetz den auch tödlichen Schußwaffeneinsatz an der innerdeutschen Grenze rechtfertigen sollte, konnte ein Verbrechen im Hinblick auf die Strafandrohung nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 213 Abs. 3 StGB-DDR vorliegen. Deshalb war die Verwendung der Schußwaffe gegen einen einzelnen unbewaffneten Flüchtling, der ohne Hilfsmittel und ohne Gefährdung anderer die Grenzanlagen zu überwinden trachtete, nach dem Wortlaut von § 27 Abs. 2 Satz 1 Grenzgesetz und § 213 StGB-DDR nicht gestattet. § 213 StGB-DDR hatte folgenden Wortlaut:

 

 

"Ungesetzlicher Grenzübertritt“ § 213 StGB-DDR

 

§ 213: Ungesetzlicher Grenzübertritt (1),,Wer widerrechtlich die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik passiert oder Bestimmungen des zeitweiligen Aufenthalts in der Deutschen Demokratischen Republik sowie des Transits durch die Deutsche Demokratischen Republik verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Geldstrafe bestraft.''

Im ,,schwerem Fall'' (Abs. 3) konnten sogar 8 Jahre Haft ausgesprochen werden ( offen als Straftatbestand wurde die Flucht erst 1968 in das StGB der DDR aufgenommen).

 

Ein besonders schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn

1. die Tat Leben oder Gesundheit von Menschen gefährdet:

2. die Tat unter Mitführung von Waffen oder unter Anwendung gefährlicher Mittel oder Methoden erfolgt;

3. die Tat mit besonderer Intensität durchgeführt wird;

4. die Tat durch Urkundenfälschung (§ 240), Falschbeurkundung (§ 242) oder durch Mißbrauch von Urkunden oder unter Ausnutzung eines Versteckes erfolgt;

5. die Tat zusammen mit anderen begangen wird;

6. der Täter wegen ungesetzlichen Grenzübertritts bereits bestraft ist.

 

Den Grenzsoldaten wurde - ohne daß hier im einzelnen differenziert worden wäre - immer wieder vermittelt, daß jede Grenzverletzung ein Verbrechen und jeder Schußwaffeneinsatz gegen "Grenzverletzer" mit gegebenenfalls tödlichen Folgen für den Flüchtling rechtmäßig und durch § 27 Abs. 2 Grenzgesetz gedeckt sei, wenn es kein anderes Mittel gebe, die Flucht zu verhindern. Dies galt auch dann, wenn die Flüchtlinge nur versuchten, die DDR ohne Ausreisegenehmigung an einer für den Grenzübergang nicht vorgesehenen Stelle zu verlassen. Für die Grenzsoldaten bestand darüber hinaus bis zum Jahre 1989 die verpflichtende Anordnung, auf einen Flüchtling zur Verhinderung des Grenzübertritts zu schießen, selbst wenn hierbei die Tötung des Flüchtlings in Kauf genommen werden mußte. Insgesamt wurde den Soldaten der Eindruck vermittelt, daß die Offiziere hinter ihnen stehen würden, wenn sie in einem vom Wortlaut der Vorschriften nicht erfaßten Fall schießen würden. Verbunden war dies mit der unterschwelligen Warnung, bei gelungener Flucht eines Flüchtlings mit Sanktionen rechnen zu müssen. Der hierdurch erzeugte Druck lastete nicht nur auf den Grenzsoldaten, sondern auch auf den Kompaniechefs und Regimentskommandeuren. Ein gelungener "Grenzdurchbruch" hatte gegen letztere regelmäßig Disziplinarverfahren zur Folge; zudem wurden Parteiverfahren geführt.

Grenzsoldaten, die nicht bereit waren, auf "Grenzverletzer" zu schießen, wurden zunächst befristet nicht mehr an der Grenze eingesetzt; blieben Zweifel an ihrer "ideologischen Standhaftigkeit", wurden sie in den Innendienst oder in eine andere Einheit versetzt. Grenzsoldaten, die einen "Grenzdurchbruch" verhindert hatten, wurden mit militärischen Auszeichnungen und Vergünstigungen wie Geldprämien, Sonderurlaub und Beförderung belohnt.

Eine Belobigung wegen der Verhinderung eines "Grenzdurchbruchs" erfolgte insbesondere, wenn die handelnden Grenzsoldaten eine Schußwaffe eingesetzt hatten, ohne daß es darauf ankam, ob der Schußwaffeneinsatz durch § 27 Grenzgesetz oder interne Dienstvorschriften gedeckt war. Es spielte auch keine Rolle, ob der "Grenzdurchbruch" durch andere Mittel als den Einsatz der Schußwaffe hätte verhindert werden können und ob mit Einzel- oder Dauerfeuer geschossen wurde. Den betreffenden Soldaten wurde durch ihre Vorgesetzten bestätigt, korrekt und entsprechend dem gehandelt zu haben. Sie wurden in der Regel aus der die Grenze sichernden Einheit versetzt, was nicht als Strafe gedacht war, sondern den Soldaten weitere psychische Belastungen ersparen sollte. Zugleich sollte hierdurch das Vorkommnis verschleiert werden; die betreffenden Soldaten wurden zum Stillschweigen über den Einsatz der Schußwaffe verpflichtet.

 

 

Quelle: www.hrr-strafrecht.de